Buchreview: „Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong
Nora Bossongs neuer Roman „Reichskanzlerplatz“ ist ein mutiges und tiefgründiges Werk, das sich der komplexen Thematik der Mittäterschaft im Dritten Reich widmet. Mit einem fesselnden narrativen Ansatz entführt die Autorin die Leserinnen und Leser in die turbulente Zeit der Weimarer Republik und die darauf folgenden nationalsozialistischen Machenschaften.
Das Buch wird aus der Perspektive von Hans erzählt, der in die Welt der schönen und ambitionierten Magda Quandt, die später als Magda Goebbels in die Geschichte eingehen wird, eintaucht. Von dieser ersten Begegnung an, als die beiden inmitten der politischen Umbrüche eine geheime Affäre beginnen, wird deutlich, wie das Schicksal der Protagonisten und der Nation untrennbar miteinander verwoben sind.
Bossong gelingt es, die Zerrissenheit ihrer Charaktere eindrucksvoll darzustellen. Magda wird als facettenreiche Figur gezeichnet, die von persönlichen Ambitionen und dem Streben nach einer besseren Zukunft getrieben wird, während sie gleichzeitig in die Fänge eines Regimes gerät, dessen groteske und fatale Ideologien sie schlussendlich mitverantwortlich machen. Ihre Beziehung zu Hans, der zwischen Liebe und Selbstverleugnung oszilliert, wird zu einer Metapher für die moralischen Kompromisse, die viele Menschen in dieser Zeit eingehen mussten, um zu überleben.
Die Sprache Bossongs ist präzise und einfühlsam; sie schafft es, die emotionale Tiefe der Charaktere zu erfassen, während sie gleichzeitig die historisch-politischen Hintergründe mit einem feinen Gespür für Nuancen anfasst. Die Vielzahl der Perspektiven, die sich im Laufe des Romans entfalten, bietet einen differenzierten Blick auf die Dynamiken von Schuld und Verantwortung.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt des Romans ist die ungeschönte Darstellung des Bösen und der Gefahren des Wegschauens. Die Frage, inwieweit man für seine Entscheidungen und deren Konsequenzen verantwortlich ist, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Dies wird besonders klar, als sich Hans und Magda auf unterschiedliche Wege begeben, während die Welt um sie herum in den Abgrund stürzt.
„Reichskanzlerplatz“ ist kein einfacher Roman über das Dritte Reich. Stattdessen stellt Bossong grundlegende moralische Fragen und lädt dazu ein, über die eigene Position zu reflektieren, sowohl in der damaligen Zeit als auch in der heutigen. Es ist ein furchtloses und herausforderndes Buch, das den Leser fesselt und zum Nachdenken anregt.
Insgesamt ist Nora Bossongs „Reichskanzlerplatz“ ein beeindruckendes literarisches Werk, das sowohl ein emotionales als auch ein intellektuelles Erlebnis bietet. Es ist ein Roman, der lange nach dem letzten Satz im Gedächtnis bleibt und zum kritischen Hinterfragen anregt – ein wahrhaft wichtiger Beitrag zur zeitgenössischen Literatur über das Dritte Reich.
Der Preis von 21,99 € erscheint in Anbetracht der gebotenen literarischen Qualität und der tiefgehenden Auseinandersetzung mit einem dunklen Kapitel der Geschichte mehr als gerechtfertigt. Das Buch ist ab dem 12. August 2024 erhältlich und sollte von jedem gelesen werden, der sich für die komplexen Zusammenhänge von Geschichte, Moral und Menschlichkeit interessiert.