In „Orbital“ von Samantha Harvey entführt uns die Autorin in die schwebende Isolation der Internationalen Raumstation, wo eine Gruppe von Astronauten nicht nur hoch über der Erde schwebt, sondern auch in einen tiefen Dschungel aus menschlichen Emotionen und Erinnerungen eintaucht. Das Setting ist faszinierend: Hier oben, weit entfernt vom hektischen Treiben der Menschheit, wird der Betrachter zum stillen Beobachter eines kleinen blauen Planeten, der sich unaufhaltsam dreht, während seine Bewohner in den Strudel von Naturkatastrophen und persönlichen Schicksalsschlägen hineingezogen werden.
Die Astronauten sind keine übermenschlichen Helden, sondern verletzliche Menschen, die ihre Ängste und Hoffnungen im Angesicht der unendlichen Weite des Alls ausbreiten. Die Zartheit, mit der Harvey ihre komplexen Charaktere zeichnet, lässt den Leser deren inneren Konflikte förmlich miterleben. Der Verlust der Mutter eines Crewmitglieds, die drohende Zerstörung eines geliebten Ortes durch einen herannahenden Taifun – all das entfaltet sich nicht nur als abstrakte Bedrohung, sondern wird zu einer existenziellen Frage nach der Beziehung zwischen Menschheit und Natur, zwischen dem Individuum und dem Kollektiv.
Harveys Schreibstil ist in seiner Klarheit und Lyrik gleichsam berührend wie präzise. Sie verknüpft poetische Beschreibungen der Erde – von der majestätischen Schönheit der Gletscher bis hin zu den kraftvollen Wellen des Ozeans – mit der Dramatik der inneren und äußeren Herausforderungen, denen ihre Protagonisten gegenüberstehen. Dabei entsteht eine dichte Atmosphäre, die den Leser nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern ihn auch in eine meditative Stimmung versetzt, während er selbst über die Fragilität des Lebens reflektiert.
Besonders stark ist die Möglichkeit, dass der Leser selbst Teil des Prozesses wird: Die starren Grenzen der Schwerkraft scheinen im Kopf zu verschwimmen, während die Gedanken der Astronauten in die eigenen Überlegungen über das Dasein, den Verlust und die Verantwortung für unseren Planeten übergehen. Sujets wie Heimat, Verlust und die Bedeutung von Verbindung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Erzählung und machen sie zu einem eindringlichen Erlebnis.
„Orbital“ ist kein Buch, das man einfach nur liest; es fordert dazu heraus, den eigenen Platz im Universum zu hinterfragen. In seiner Tiefe und Komplexität bleibt es nach dem Schließen des Covers noch lange im Gedächtnis haften. Samantha Harvey gelingt es, mit ihrem sensiblen und durchdringenden Stil einen Dialog zwischen Mensch und Kosmos zu eröffnen, der zum Innehalten und Nachdenken über die eigene Existenz einlädt. In einer Welt, in der alles so hektisch erscheint, bietet dieses Werk eine wohltuende Gelegenheit zur Reflexion – über die Erde, die wir lieben, und die Menschen, die sie bewohnen.