1. Dezember
Der kalte Wind peitschte über den Marktplatz von Ganderkesee und ließ die festlich geschmückten Tannenzweige erzittern. Die Lichterketten funkelten wie tausend kleine Sterne in der dunklen Dezembernacht. Paul Henning zog den Kragen seines Mantels höher und steckte die Hände tief in die Taschen. Der Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein lag in der Luft, doch heute konnte er ihn nicht genießen.
Er hatte gerade seinen Abendspaziergang beendet und stand nun vor seiner Haustür, einem alten Backsteinhaus in der Nähe des Rathauses. Als er den Briefkasten öffnete, fiel ihm ein einzelner Umschlag entgegen. Kein Absender, nur sein Name in akkurater Handschrift. Stirnrunzelnd betrat er das Haus und setzte sich in sein gemütliches Wohnzimmer. Das Kaminfeuer knisterte leise, doch die Wärme drang nicht zu ihm durch.
Mit zitternden Fingern öffnete er den Umschlag. Ein einzelnes Blatt Papier kam zum Vorschein, darauf nur ein kurzer Satz: „Die Vergangenheit ruht nicht.“ Darunter war ein Datum angegeben: der 24. Dezember 1985. Pauls Herz schlug schneller. Dieses Datum… Es war der Tag, an dem der alte Müller spurlos verschwunden war, ein ungelöstes Rätsel in der Geschichte Ganderkesees.
Am nächsten Morgen suchte Paul die Polizeistation auf. Kommissar Lukas Bergmann saß an seinem Schreibtisch, vertieft in Berichte über kleinere Diebstähle, die in letzter Zeit zugenommen hatten. „Lukas, ich muss mit dir sprechen“, sagte Paul ohne Umschweife und legte den Brief vor ihm auf den Tisch.
Lukas hob eine Augenbraue. „Ein anonymer Brief? Worum geht es?“
„Um den verschwundenen Müller. Du erinnerst dich doch an die Geschichte?“
Lukas lehnte sich zurück. „Vage. Das ist doch Jahrzehnte her.“
„Genau darum geht es. Jemand will, dass ich mich damit beschäftige. Ich habe ein ungutes Gefühl dabei.“
In diesem Moment betrat Anna Wieland das Büro. „Hallo ihr zwei. Was sieht so ernst aus?“
Paul reichte ihr den Brief. Sie überflog die Zeilen und sah dann zu den beiden Männern auf. „Das ist doch ein gefundenes Fressen für einen Artikel. Vielleicht steckt mehr dahinter.“
Lukas seufzte. „Anna, wir wissen nicht einmal, ob das echt ist. Es könnte ein Scherz sein.“
„Und wenn nicht?“, warf Paul ein. „Ich kann nicht einfach so tun, als wäre nichts.“
Lukas nickte langsam. „In Ordnung. Wir sehen uns das an. Aber keine Alleingänge, verstanden?“
Die drei machten sich auf den Weg zum alten Müllerhaus am Stadtrand, einem verfallenen Gebäude, das seit Jahren leer stand. Der Winter hatte das Grundstück in eine weiße Decke gehüllt, die jeden ihrer Schritte knirschend kommentierte.
„Es fühlt sich an, als würde die Zeit hier stehen bleiben“, flüsterte Anna.
Plötzlich entdeckte Lukas frische Fußspuren im Schnee. „Wir sind nicht allein“, sagte er leise und legte eine Hand an seine Dienstwaffe.
Sie folgten den Spuren bis zur Hintertür des Hauses, die einen Spalt offen stand. Im Inneren herrschte düstere Stille. Das Licht, das durch die zerbrochenen Fenster fiel, warf gespenstische Schatten an die Wände.
„Ich glaube, wir sollten Dr. Schulte informieren“, flüsterte Paul nervös.
„Erst sehen wir uns um“, erwiderte Lukas.
In einem der Räume fanden sie ein improvisiertes Lager: eine Matratze, leere Konservendosen und Kerzenstummel. An der Wand hing eine alte Zeitungsausschnitt mit dem Titel: „Müller spurlos verschwunden – Polizei tappt im Dunkeln“.
Anna zog ihr Handy hervor und fotografierte den Raum. „Jemand ist besessen von diesem Fall.“
„Die Frage ist, warum“, sagte Lukas und betrachtete den Ausschnitt genauer. „Vielleicht sollten wir Jan Becker um Hilfe bitten. Er kann möglicherweise etwas über die Herkunft des Briefes herausfinden.“
Zurück im Büro kontaktierte Lukas den IT-Spezialisten. Jan Becker erschien kurze Zeit später, die Haare zerzaust und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Ihr habt nach mir gerufen?“
„Kannst du diesen Brief analysieren? Vielleicht finden wir Hinweise auf den Absender“, erklärte Lukas.
Jan nahm den Brief und betrachtete ihn unter einer Lupe. „Interessant. Das Papier ist nicht mehr das Jüngste. Und die Tinte… Ich brauche mein Equipment.“
Während Jan sich an die Arbeit machte, diskutierten die anderen die nächsten Schritte. „Wir müssen mehr über das Verschwinden des Müllers herausfinden“, meinte Anna. „Vielleicht gibt es in den alten Archiven Hinweise.“
Paul nickte. „Ich kenne jemanden im Heimatverein, der uns Zugang gewähren könnte.“
Am Ende des Tages hatten sie mehr Fragen als Antworten. Wer hatte den Brief geschickt? Warum jetzt? Und was war wirklich mit dem Müller geschehen?
Als Paul nach Hause kam, wartete bereits ein weiterer Umschlag auf ihn. Diesmal enthielt er nur ein altes Foto des Müllerhauses – aufgenommen am Tag seines Verschwindens. Auf der Rückseite stand: „Die Wahrheit liegt im Schatten.“
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er wusste, dass dies erst der Anfang war.
3 Kommentare
Ein spannender Auftakt! Die geheimnisvolle Atmosphäre und die Verbindung zur Vergangenheit machen Lust auf mehr. Ich bin gespannt, wie Paul und die anderen Charaktere das Rätsel rund um den verschwundenen Müller entschlüsseln werden!
Ein spannender Auftakt! Die mysteriöse Verbindung zur Vergangenheit und der ungelöste Fall um den verschwundenen Müller wecken sofort das Interesse. Ich bin gespannt, wie Paul und sein Team dem Rätsel auf die Spur kommen werden. Hoffentlich gibt es bald mehr Hinweise!
Spannender Artikel! Die geheimnisvolle Atmosphäre und die unerwarteten Wendungen halten den Leser in Atem. Ich bin neugierig, welche weiteren Hinweise die Protagonisten finden werden und ob der Fall tatsächlich gelöst werden kann. Die Anspielung auf die Schatten lässt auf eine tiefere Verbindung zwischen dem Verschwinden des Müllers und dem alten Müllerhaus schließen.